Nov 222014
 

Virus

Die Virusserie ist eine Forschungsreise in die akustische Wahrnehmung, ein Ausloten von Reaktionen unserer Hirne im Millisekundenbereich, ein Plädoyer für den akustischen Augenblick in höchster Präzision. Und was hören Sie?

Der live-generierte elektronische Klangkörper ist Wirt und Wirtin an den sich die Instrumentenklänge andocken, an ihn anpassen, in ihn hineindringen und zu ihrer Replikation benützen. Es ist Kampf und Synthese der beiden Klangkörper. Gemeinsam bleiben sie am Leben.

Initialzündung für die Virus #* Serie ist einer jener seltenen Glücksmomente. Ich habe Terretektorh von Iannis Xenakis 2009 bei Wien Modern, aufgeführt vom RSO, erlebt. Ich war schlichtweg high! Und trotzdem – mir fehlten diese in einer doch ganz anderen Weise durch den Raum ziehenden elektronischen Klänge. Vieles hat sich aufgetan, Fragen, Experimente. Ich denke in Körpern. Ich bin Elektronikerin. Also WIE kann ich mit einem Klangkörper wie einem Orchester kommunizieren? Ich habe mich für die Sprache, die mir am nächsten ist entschieden – live generierte Elektronik – Hören. Nein, kein Zuckerstreusel drüberstreun, kein Effektieren, Unabdingbares – die Partitur. Beide Körper sind hörbar.

Langsam habe ich mich an diese Herausforderung herangetastet. In Virus #1 sind es einzelne Instrumentengruppen, in Virus #2 eine Kombination aus 2 Instrumentengruppen, in Virus #3 eine Synthese aus allen Instrumentengruppen mit denen ich bereits gearbeitet habe.

Elisabeth Schimana

 

„Be not afeard“, sinniert Caliban, „the isle is full of noises; sounds and sweet airs that give delight and hurt not. Sometimes a thousand twangling instruments will hum about my ears …”. Diesseits Shakespearescher Poetik hingegen gibt Elisabeth Schimana ganz prosaisch zu Protokoll, worauf ihre Konzeption aufbaut: Der digitale elektronische Klangkörper in Virus #3 hat die Aufgabe, genau das zu tun, was er am besten kann: die exakte Ausführung eine Algorithmus. Der instrumentale Klangkörper hat ebenfalls die Aufgabe, genau das zu tun, was er am besten kann: die ungenaue Ausführung eines Algorithmus.“

Elisabeth Schimana verfolgt mit ihrer „Virus“-Serie eine aufs erste paradox klingende Konzeption: Die „Partitur“, nach der die Musikerinnen und Musiker spielen, ist nicht sicht-, sondern hörbar. Und zwar nicht nur für die Musiker, sondern vor allem auch für das Publikum. Man hört also die Vorgabe und die versuchte Auflösung zugleich. Jeder/jede Musizierende spielt in unmittelbarer Nähe eines Lautsprechers. Aus jedem Lautsprecher ertönt die „Stimme“, gewissermaßen der akustische Ersatz für aufgeschriebene Noten, nach der gespielt wird. Elektronische Klänge, von Elisabeth Schimana live generiert, sind die akustische Vorgabe, die die Musiker/innen möglichst exakt sozusagen unisono wiedergeben, mitspielen sollten. Weder aber ist die exakte Veränderung der elektronischen Klänge im Detail vorhersehbar, noch lassen sich die elektronischen Klänge auf traditionellen Instrumenten überhaupt exakt kopieren. Aus diesem Streben nach einem per se unmöglich perfekt sein könnenden Ergebnis entsteht genau die Inhaltlichkeit der Komposition. Ein permanentes, angespanntes Schweben zwischen Klangzuständen, ein andauerndes Flirren der produktiven Ungenauigkeit, eine Klangskulptur permanenter Annäherung und gleichzeitiger utopisch bleibender wirklicher Übereinstimmung versetzt die Zuhörenden in ein akustisches Spiegelkabinett zwischen Utopie und Realität. Wobei das Schöne an dieser Erzählung eben ist, dass die Realität sich als das künstlerisch Erstrebenswertere herausstellt, als es jede Utopie sein könnte.

Christian Scheib

 

Klang — Körper — Räume
Ein Hörprotokoll zum virus #3

Ein Raum, ebene Fläche. Darin: kleine menschliche Inseln, sitzend auf dem Boden, lose gruppiert. Mittendrin: Lautsprecher. Je ein Mensch in der Gruppe hält ein Instrument. Mittendrin, in der Tiefe des Raums: eine Frau an einem Tisch. Laptop, Kabel rundherum.

Ein Orchester ohne Bühne wird zum Hörraum, in schweigender Gemeinschaft horchend mit seinem Publikum. Hören ist nicht nur Stillsitzen, Hören ist Arbeit. Das erfahren alle die, die diese Arbeit in den folgenden dreißig Minuten miteinander vollziehen.

Es gibt keine Partitur, kein Dirigent schlägt den Takt. Was den Ton angibt, sind Impulse aus den Lautsprechern, generiert vom Computer. Alles ist Ohr, lauscht, und erst aus dem Hören entsteht Bewegung. Erst Einzelgesten, dann Bewegungen, die den Raum zu einen Körper werden lassen. Wir alle mittendrin, im pulsierenden Herz. Wir sind das Herz. Wir schlagen im Takt mit dem tiefen Beben der Tuba, mit dem nervösen Flirren der Geigen.

Es gibt kein fixiertes Musikwerk, wir sind das Werk. Jetzt. Es hat etwas von einem Ritual und etwas von einer Meditation, sich gemeinsam diesem Zustand einer autopoietischen Feedbackschleife hinzugeben.

Es ist die Orchestrierung des Hörens schlechthin: Klang wird zu Information, umgesetzt in Bewegung, und am Instrument wieder in Klang. Jedes Instrument folgt einem eigenen Puls, selbstbestimmt und dennoch fremdgesteuert, besessen von dem Oszillieren des elektronischen Klangkörpers. Ein mentaler, auraler, viraler Vorgang. Der erst den Ton anzugeben scheint und dann doch wieder verändert, überwältigt wird vom instrumentalen Sound der Musizierenden. Und mittendrin der Laptop, als Mastermind? Auch das Ohr hinter dem Computer lauscht.
Ein biologischer Virus zerstört den Wirtskörper, indem er ihn bewohnt. Ein musikalischer Virus erschafft etwas Neues aus der Erfahrung des Hörens.

Margarethe Maierhofer-Lischka