Oct 132012
 

jalousie
soli & small ensemble pieces
works by Katharina Klement

1 solo 2        7:10 min.
Klavier und Elektronik 2010

2 portrait        11:23 min.
Bassklarinette, Akkordeon, Elektronik 2011

3 noise: s onie        6:42 min.
Cello solo 2010

4 mihrab        12:34 min.
Blockflöte, Bassklarinette, Elektronik 2008/2012

5 HOPE        10.10 min.
Klavier und 2 Körperschallwandler 2011

6 Jalousie        12:47 min.
Saxofon-Quartett 2009

Gesamtzeit: 60:46 min.

 

1 solo 2    2010    7:10 min.
elektronische Komposition
Als Ausgangsmaterial wurden an die 60 unterschiedliche Klaviercluster eingespielt. Diese werden in winzigen fortschreitenden Schleifen (loops) wiederholt. Die daraus resultierenden Klangflächen werden wie Obertöne zu einem Spektrum geschichtet. Das Klavier mutiert zu einem sich permanent verändernden Klangraum.

2 portrait    2011    11:23 min.
für Bassklarinette, Akkordeon, live-Elektronik
Mitschnitt der Uraufführung beim Festival e-may, Kosmostheater Wien
Ausführende:
Krassimir Sterev, Akkordeon
Stefan Neubauer, Bassklarinette
Thomas Grill, live-Elektronik

Ein Portrait ist gemeinhin das Produkt einer intensiven Auseinandersetzung mit einem Menschen. Das Verhältnis zwischen dem Portraitisten/der Portraististin und dem Portraitierten entsteht in einer Begegnung, in der etwas Neues entsteht, das sich nicht auf Portraitist-Portraitierter reduzieren lässt.
Wenn ein Instrument das andere portraitiert und sich im anderen wiederspiegelt, öffnet sich von selbst ein komplexer Transformationsraum, der die klanglichen bzw. instrumentalen Identitäten ineinander zerfliessen lässt. Die Elektronik arbeitet vorwiegend mit eingespeisten Klängen von Bassklarinette und Akkordeon, geht aber eigene Wege der Klangverarbeitung. Sie löst die Klänge durch elektronische Transformationen vom instrumentalen Kontext, spielt sie aber „live“ in diesen wieder zurück.

3 noise: s onie    2010    6:42 min.
Cello solo
Ausführender: Roland Schueler

„Es gibt keine reine Musik wie es keine reine Information gibt. Der Empfänger/die Empfängerin produziert die Information.
Jede Botschaft wird durch Rauschen gestört, sei es während der Übertragung, sei es beim Empfänger. Nach dem Empfang eines Signals bleibt immer eine unerwünschte „uncertainty“ (Ungewißheit, noise) darüber, was die gesendete Botschaft wirklich war.“

aus dem Aufsatz „Geräusche, Rauschen, Schall und Klang“ von Peter Weibel, 1995

Das Stück gliedert sich in mehrere aufeinanderfolgende Zustände, die immer wieder „weiter gesagt“ werden – ähnlich wie beim Spiel „stille Post“ verändern sich dabei diese Zustände, mutieren zu neuen Zusammenhängen.
Dazwischen durchbrechen Geräusch-/Rausch-Texturen den Verlauf, die schließlich das Stück dominieren. Sie sind Kontrapunkt, Gegenstück zur „Information“ und bilden gleichzeitig den Grund, die Basis zu möglicher Klanginformation überhaupt.

4 mihrab    2008/2012    12:34 min.
für B-Klarinette und Bassklarinette, Blockflöten, live-Elektronik
Ausführende:
Robert Corazza, Klarinette & Bassklarinette
Thomas List, Ganassi-Altblockflöte & F-Bassett-Blockflöte
Daniel Lercher, live-Elektronik

Der Titel des Stücks ist ein Wort aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie “leere Nische”, die ein Bestandteil jeder Moschee ist und an die Gegenwart des Propheten erinnert.
Fasziniert von dem Gedanken, daß “Leere” “Gegenwart” bedeutet, wird im Stück in mehrfacher Weise dieser Nische nachzuspüren versucht. Anfangs ist sie ein freigehaltener Tonraum, von dem aus sich Ober- und Untertonreihen, später unterschiedlich dichte spektrale Blöcke spannen.
Aus dem Vorhandensein einer Nische ergibt sich automatisch auch das Vorhandensein einer Spaltung, etwas Zweifaches. Wie man vom Einfachen ins Zweifache gelangt und vice versa, vom Unisono ins Mehrstimmige, wird großteils im mikrotonalen Bereich aufgefächert. Das östliche und westliche Verständnis von Tonhöhe wird vermischt: hier das Um- und Einkreisen einer Tonqualität, dort das distinkte Treffen eines klar begrenzten Bereichs.

5 HOPE    2011    10.10 min.
3. Akt aus dem multimedialen Projekt „HOLE, In Search of Opera without Opera“
für Klavier und 2 Körperschallwandler
Entstanden anlässlich einer Amerikanisch-Österreichischen Koproduktion für das „Arts Festival Ptuj“, Slowenien 2011.
(Lynn Book/Konzeption, Stimme, Text – Katharina Klement/Konzeption, Klavier, Elektronik – Doris Schmid/Video – Robin Starbuck/Video)

Ein aufgenommenes Klaviermotiv wird in oftmaliger Wiederholung mittels zwei Körperschallwandler wiedergegeben, die am Resonanzboden eines Klaviers positioniert sind. Es wird so immer wieder in den Klavierresonanzraum zurückgespielt und neu aufgenommen. In einem so definierten Prozess erfolgt eine graduelle Transformation des Materials ohne weitere elektronische Signalverarbeitung.

6 Jalousie    2009    12:47 min.
für Alt-, Tenor-, Bariton- und Bass-Saxophon
Ausführende: Danubia Saxofon-Quartett
Harald Müller, Altsaxofon
Barbara Schickbichler, Tenorsaxofon
Peter Girstmaier, Baritonsaxofon
Alfred Reiter, Bass-Saxofon

Den Subtext zur instrumentalen Komposition bilden konkrete Aufnahmen, die alle zu unterschiedlichen Tages- und Nachtzeiten an ein- und demselbem Ort aufgenommen wurden: in einem Zimmer bei geöffnetem Fenster hinter geschlossener Jalousie.
Eine Auswahl daraus wurde spektral wie zeitlich analysiert und im weitesten Sinne, ohne Anspruch auf Realitätstreue, instrumental übersetzt – resynthetisiert.
Wie in einem Kaleidoskop treffen diese Fragmente rund um den einheitlichen Ort aufeinander. Diese können von den Ausführenden für jede Aufführung ad libitum neu ausgewählt und geordnet werden.
Die Übersertzung der konkreten Alltagsgeräusche und –klänge in den instrumentalen Kontext setzt das Prinzip der Jalousie fort: ursprünglich kausale und anekdotische Zusammenhänge von Klängen und Geräuschen werden abstrahiert und bilden „nur“ mehr rein klangliche Verbindungen. Oder: wie klingt Regen, auf ein Saxofonquartett übertragen?

 

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Transformationen

Musik als zeitliches Medium lebt von Transformationen in der Zeit: eine musikalische Gestalt entfaltet sich in der Zeit, wird wiederholt, weitergesponnen, abgewandelt. Was für jede Art von Musik ein konstitutives Merkmal darstellt, bei Katharina Klement scheint es ein zentrales Thema ihres musikalischen Schaffens zu sein. Die Komponistin erforscht die vielfältigen Dimensionen von Transformationen im und mit dem Medium der Musik.

Transformation als Prozess der kontinuierlichen Veränderung
Stücke wie „solo 2“ oder „HOPE“ sind von langsamen Entwicklungen geprägt, die eine Haltung des verweilenden Hörens erfordern: des Lauschens, sowohl im Sinne des Nachlauschens wie auch des Vorauslauschens. Wer sich auf die subtilen Veränderungen des klanglichen Geschehens einlässt, wird entdecken, wie ein scheinbar stehender Klang leise zu vibrieren beginnt, wie sich aus einem breitflächigen Band einzelne Schichten herauslösen, wie sich ein fernes Pulsieren langsam nähert. Prozesse des
Formens und Transformierens werden vorgeführt – sie verändern das Zeitgefühl. An die Stelle eines zielgerichteten Hörens tritt ein „langsames“ Hören, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unauflöslich ineinander verschränkt erlebt werden können.

Kommunikation als Transformation
Kommunizieren bedeutet Verändern, Transformieren. Schon der erste Schritt von der Wahrnehmung zur Mitteilung der Wahrnehmung (mit Hilfe welchen Mediums auch immer) beruht auf der Transformation des Wahrgenommenen in eine mitteilbare Gestalt. Sobald mehrere Personen in den Kommunikationsprozess involviert sind, erhöht sich der Grad der Transformation. In Stücken wie „portrait“ oder „noise:s onie“ begegnet man durchaus vertrauten musikalischen Kommunikationsmustern. Musikalische Gestalten werden imitativ aufgegriffen, die vermeintliche Wiederholung entpuppt sich jedoch schnell als verändernde Variation. Aus dem Hin und Her der wechselseitigen Bezugnahmen entsteht etwas Neues, das sich letztlich nicht mehr aus der Ausgangsfigur erklären lässt. Durch die Kommunikation werden Beziehungen etabliert, die Musik macht dieses Beziehungsgefüge hörbar. Spannend wird es genau dort, wo im wechselseitigen Austausch der „Gedanken“ neue Elemente hinzutreten. Vielleicht ist es das „Nicht-Verstandene“ oder das „Anders-Verstandene“, das unsere Kommunikationen so lebendig erhält?

Transformation als Übersetzung
In „Jalousie“ bildet konkretes akustisches Material den Ausgangspunkt für eine musikalische Auseinandersetzung. Akustische Natur- und Alltagsklänge, die mit einer konkreten Bedeutung aufgeladen sind (ihre Herkunft lässt sich jederzeit identifizieren), werden in die abstrakte musikalische Sprache eines Saxofon-Quartetts übersetzt. An die Stelle der „akustischen Fotografie“ tritt ein „musikalisches Bild“. Wie beim Gestalten eines Bildes die Wahl des Darstellungsmediums (ob Feder, Aquarell- oder Ölfarben) darüber entscheidet, welche Aspekte der visuellen Wirklichkeit gezeigt werden, so bestimmt hier die Entscheidung für eine bestimmte Instrumentengruppe, welche Dimensionen der akustischen Wirklichkeit musikalisch hörbar gemacht werden. Zwischen der akustischen Wirklichkeit und der musikalischen Wirklichkeit bestehen große Differenzen, es tut sich geradezu ein Abgrund auf, der beide Wirklichkeiten voneinander trennt. Und doch bleiben „Fotografie“ und „Bild“ aufeinander bezogen: in einer unauflösbaren Spannung zwischen Enthüllen und Verbergen, voneinander getrennt und miteinander verbunden durch eine “Jalousie”…

Transformation als Übertragung
Während „Jalousie“ auf der Übersetzung akustischer Eindrücke in musikalische beruht, also eine Transformation innerhalb des Hörbaren stattfindet, geht „mihrab“ von der räumlich-visuellen Idee der Nische und dem damit verbundenen spirituellen Konzept der Leere und der Gegenwart des Propheten aus, und überträgt es ins Musikalische: Räumliches und Gedachtes wird hörbar. Findet auf diese Weise ein Wechsel der Medien statt, so ist keine „buchstäbliche Übersetzung“ möglich, vielmehr verlangt der Wechsel eine metaphorische Übertragung. Die räumliche Idee der Nische wird im übertragenen, metaphorischen Sinn in die Idee eines freigehaltenen Tonraums transformiert. Bei diesem Übertragungsprozess geht eine Menge an „Informationen“ verloren, gleichzeitig jedoch entsteht Neues: für die Komponistin neue kompositorische Gestaltungsideen und für die Hörer neue musikalische Erfahrungen und Erkenntnisse. Der Verlust entpuppt sich – aus einer anderen Perspektive gesehen – als Gewinn. Wieder sind es die Differenzen, die in Transformationsprozessen freigelegt werden und damit ihr innovatives Potenzial zeigen.

Transformationen zwischen Konkretion und Abstraktion
Der Begriff „konkret“ kann in Bezug auf Musik unterschiedlich interpretiert werden. Konkretes musikalisches Material ist mit konkreten Bedeutungen versehen, sei es, weil es auf eine eindeutige Klangquelle bezogen werden kann (der konkrete Klang des Krähen eines Hahns z.B.), sei es aber auch, weil es bedingt durch die lange Geschichte der europäischen Kunstmusik mit vielfältigen Bedeutungen besetzt ist. In diesem zweiten, erweiterten Sinn, hören und verstehen wir etwa ein musikalisches Motiv, das auf dem Klavier gespielt wird (wie z.B. zu Beginn des Stückes „HOPE“), im Kontext vieler Klavierkompositionen, die wir bereits hörend verarbeitet haben. Die Bedeutung ergibt sich durch Bezugnahme auf vorhandene, auf Erfahrung basierende Wahrnehmungsmuster. Katharina Klement scheint mit diesen vertrauten Wahrnehmungsmustern und –mechanismen zu spielen. Bei „HOPE“ wird mittels eines gewissermaßen automatisierten Aufnahme- und Wiedergabeverfahrens ein vertrauter musikalischer Klang so lange transformiert, bis das Vertraute ins Fremde umschlägt. Das identifizierende Hören, das mit bekannten Klängen und Figuren konkrete Bedeutungen assoziiert, wird in Frage gestellt und in ein forschendes Hören transformiert, das sich der abstrakten Klangsinnlichkeit akustisch-musikalischer Phänomene hingibt. Gibt es einen bestimmten Moment, in dem das Konkret-Vertraute ins Abstrakt-Fremde umschlägt, oder vollzieht sich die Transformation in einer kontinuierlichen Entwicklung? Oder lässt sich der Prozess eher mit dem Bild des Oszillierens beschreiben? Hörend, lauschend wechseln wir zwischen der sinnlichen Präsenz der Klänge und ihrer zeichenhaft verweisenden Bedeutung hin und her. Im „verlängerten Zögern zwischen Klang und Sinn“,(1) wie es der Dichter Paul Valéry so schön formuliert hat, lassen sich noch unerhörte musikalische Welten entdecken.

Ursula Brandstätter

 
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(1) Paul Valéry: Windstriche. Frankfurt am Main 1995. p 40.