IMAfiction #10: Elisabeth Schimana

 

 
 
 
 
 
 
portrait #10
Elisabeth Schimana
a portrait by Seppo Gründler & Johanna Moder

Ein Portrait von Seppo Gründler & Johanna Moder [2018]

Interview & camera: Seppo Gründler & Johanna Moder Filmed in: studio Elisabeth Schimana, studio FH Joanneum | Film & sound editing: Seppo Gründler Technical assistance: Chistoph Neuhold Music: Elisabeth Schimana | Subtitles translation: Kimi Lum | Graphic design: Nora Bischof | DVD authoring: CSM Production | Photo credits: Archive Elisabeth Schimana, IMA Archive, Max Brand Archive, Markus Gradwohl, lichtschalter, Reinhard Mayr | Film credits: Archive Elisabeth Schimana, The ARS Electronica Archive, ORF Steiermark musikprotokoll Archive, Ina Pillat – Atelier Nord, Reinhard Mayr

Sonnenwinde

Am Ende einer Bahn-Linie, die auf Stelzen einen weiten Bogen über gelbe Felder zieht, liegt eine Station, die Seestadt heisst. Von dort gelangt man bald auf die baumlose Sonnenallee, die zu einem Ort führt, an dem Elisabeth Schimana das Stück In die Sonne performen wird.Es ist heiss am Ende der Sonnenallee, die in ein großes Baustellen-Areal mündet, an dessen Rand auf sandigem Untergrund eine schlichte Halle steht, in der das Elektronik-Festival stattfindet, das Schimana eröffnet.So heiss ist es, dass die Eingänge an den Längsseiten geöffnet sind, sodass der Wüstenwind durchwehen kann. So heiss ist es, dass Schimana ihren Rechner abschalten hat müssen, weil er beim Soundcheck schon überhitzt war. Die Leute liegen am Boden und geben sich dem Hören hin, ein kleines Licht leuchtet am Pult der Künstlerin, sehr leise beginnt das Sonnen-Stück und der Kühlschrank hinter der Bar brummt laut. Wolken haben sich zu einer dunklen Front vereint, irgendetwas schlägt, von Windböen gepeitscht, außen laut an die Wand.Später wird Elisabeth Schimana davon schwärmen, wie schön sich diese Störgeräusche mit ihrer Komposition verbunden haben. Die Sonnenschwingungen füllen den dunklen Raum und lassen ihn immer mehr vibrieren, je mehr tiefe Frequenzen Schimana dazu schichtet.

Nährböden, Wurzeln, Wege

Schimana spricht im Kontext der Werkreihe Virus von Nährböden, auf denen das Projekt wachsen konnte. Anhand dieser Punkte lässt sich ihr gesamtes Arbeitsfeld schon ungefähr abstecken:Für Virus sei das Hörerlebnis einer Aufführung von Iannis Xenakis‘ Terretektorh (1965/66) Auslöser in mehrfacher Hinsicht gewesen. Als Nährboden nennt Schimana auch ihre bis in die Gegenwart fortgesetzte Zusammenarbeit mit dem Ö1 Kunstradio des Österreichischen Rundfunks. Außerdem zwei Pionierinnen der elektronischen Musik: Eliane Radigue und Maryanne Amacher. Die ab den 1940er Jahren von Pierre Schaeffer entwickelten Ideen der Musique Concrète sind ebenfalls „eine der Wurzeln“ ihrer Arbeit, vor allem bezüglich des „reduzierten Hörens“.1

Auch in ihrem Ausbildungsweg spiegelt sich ihre Verortung: An der Schnittstelle von wissenschaftlicher und künstlerischer Welt-Annäherung nutzt sie das Potential wechselseitiger Befruchtung:Sie nimmt zunächst privat Gesangsunterricht und besucht den Lehrgang für Harmonikale Grundlagenforschung an der Wiener Musikhochschule, wo sie dann auch Elektroakustische und Experimentelle Musik (bei Dieter Kaufmann) studiert. Ethnologie und Musikwissenschaft absolviert sie an der Universität Wien, was sie, ebenso wie das Studium für Komposition und Computermusik am IEM in Graz, abschließt. Wichtig sind Auslandsaufenthalte, insbesondere in Moskau, wo sie sich am Theremin-Center eingehend mit dem Theremin beschäftigt. Im Lauf der Jahre: Preise, Stipendien, Residencies. Konzerte und Performances weltweit auf Elektronik-Festivals ebenso wie auf Festivals Neuer Musik. Dozentin, Workshopleiterin, Herausgeberin und Kuratorin.Ihr forschender Zugang manifestiert sich nicht zuletzt in der Gründung des IMA Institut für Medienarchäologie 2005, das sie leitet und dem auch die vorliegende Porträt-Serie zu verdanken ist, die von ihrem Engagement für die Wahrnehmung weiblicher Protagonisten der elektronischen Musik zeugt.

Körper, Räume, Notationen

Zu deren Pionierinnen ist Elisabeth Schimana zu zählen: Mit interdisziplinären und performativen Projekten, Klanginstallationen und Radioarbeiten, Versuchsanordnungen im sozialen wie im virtuellen Raum, mit Projekten im Techno-Kontext und Live-Kompositionen in verschiedensten Konstellationen erschließt und bearbeitet sie seit den 1980er Jahren Feld für Feld.

Raum hören

[…] Seit Beginn meiner Arbeit als Komponistin elektronischer Musik beschäftige ich mich mit der Platzierung von Klängen im Raum. Wenn ich hier von Raum spreche, inkludiere ich auch Räume wie den Radioraum oder das Internet. […] versuche mehr, mit dem, was ein architektonischer oder ein anderer Raum als Eigenheit zu bieten hat, zu arbeiten. Dies lässt sich mathematisch nicht berechnen, es muss gehört werden. Ich stelle immer die Frage an den Raum: Was erzählst du mir, wie können wir gemeinsam klingen? […]2 In live-Elektronik-Projekten lotet Schimana reale Architekturen aus. In on tesar (2006-08, mit Cordula Bösze an Flöten) bespielt sie den konkreten, von Architekt Heinz Tesar entworfenen Raum und arbeitet zudem mit dessen architektonisch-poetisch-philosophischen Formeln, die sie in Konzept und Partitur verwandelt.

Den Raum Radio erforscht sie im Rahmen von Ö1 Kunstradio auf vielfältige Weise. Dabei geht es auch um das Thema Kommunikation: Nicht nur als genuin musikalisches Thema, sondern auch um „die Hinterfragung der Kommunikationstechnologien und ihrer Verwendung, die vielen künstlerischen Projekte mit anderen KünstlerInnen, in welchen man einfach ein Knotenpunkt eines Netzwerkes ist. […] Teil eines kommunikativen Prozesses zu sein, ob über die elektrischen Leitungen eines Netzwerkes oder die Schallwellen in einem Raum.Früh erprobt sie Konstellationen, die Radio und Internet verbinden, so etwa in Die Fuge (1996), wo sie an einem Schiff an der March, der damaligen Grenze zur Slowakei, und KünstlerInnen in Fujino, Helsinki, Berlin und Wien jeweils zeitverzögert aufeinander reagieren, was in einem live Radiomix gesendet wird. In ein dorf tut nichts (2000-01) wird gemeinsam mit Markus Seidl eine Versuchsanordnung für den sozialen Raum einer kleinen Dorfgemeinschaft entworfen. Ein viel rezipiertes, exemplarisches Ausloten von Spiel- und Handlungsräumen, zeitlos relevant.

Körper hören

Ich denke in Körpern. Ich bin Elektronikerin.4

In Obduktion (1996) arbeitet Schimana mit Aufnahmen, die sie im Obduktionssaal vom Sezieren toter Körper macht. Das Klangmaterial wird einer dem Sezieren ähnlichen Bearbeitung unterzogen, einzelne Geräusche wie Organe herausgelöst. Das Theremin hält auf Abstand, lässt keine Berührung zu, bildet eine unsichtbare Aura um sich. Sie fasst es nicht nur als Instrument auf, sondern setzt es auch als Steuergerät ein, unterschiedlichste Projekte zeugen davon.

So reduziert das Theremin, so komplex und überwältigend der Max Brand-Synthesizer, den sie erforscht, wiederbelebt. Auch hier berührende Körperlichkeit: Ein massiger, raumgreifender Organismus aus unzähligen handgefertigten Verbindungen, unvollendet und siechend. Dessen geheimnisvolles Innenleben Elisabeth Schimana untersucht und aus dem Begreifen seiner Möglichkeiten orgelnde Klangmassen zusammen braut: Höllenmaschine (2009), ein mit Tasten-Virtuosin Manon Liu Winter und Gregor Ladenhauf performtes unerhörtes Klang-Ereignis.

Partitur hören

In die große partitur (2001-06) entwickelt Schimana gemeinsam mit Seppo Gründler eine Partitur, deren Grundstruktur genau definierte Arbeitsschritte bestimmt, in denen, unter Einbeziehung programmierter Rechen-Prozesse, das musikalische Material generiert und bearbeitet wird.

Indem sie über das Thema Partitur weiter nachdenkt, rüttelt sie an Grundfesten, denkt es mit Virus (ab 2011) neu: Im Fall der herkömmlichen schriftlichen Partitur werde „ein Lesevorgang zwischengeschaltet“. Sei aber „Klang per se die Partitur, werden der Lesevorgang und die Übersetzung von einem Medium ins andere übersprungen.5 Sie entwickelt das Konzept einer Hör-Partitur, die eine nicht-schriftliche live-Komposition generiert. Das Bild des Virus funktioniert als Modell, das die gegenseitige Abhängigkeit der Agierenden beschreibt in einem Setting, das von allen Beteiligten äußerste Hingabe, Konzentration und Präzision fordert und Konzepte von Partitur, Komposition und musikalischer Kommunikation neu definiert.

Ränder, Flächen, Sterne

Ob kaum hörbares Knistern ferner Eruptionen oder brüllendes Aufbäumen übereinander geschichteter Klangflächen: Elisabeth Schimanas Musik bewegt sich an den Rändern, in Extremen. Und ist zugleich zurück genommen, einem großspurig-gestalterischen Gestus entsagend und Spektakulär-Eingängiges verweigernd.

Im Spannungsfeld von Konzept und Experiment wandelt sie häufig außermusikalische Konstruktionsprinzipien in musikalische Strukturen um, übersetzt wissenschaftliche Daten in musikalische. Zu In die Sonne (2016) etwa wird sie von Forschungen zu den Sonnenschwingungen inspiriert, die bei ihr zu einer „Vorstellung der Sonne als riesigem Resonanzkörper für akustische Schwingungen“ führen. Dazu kommt „das Bewusstsein bei den Beobachtungen der Prozesse auf und in der Sonne immer einen Blick in die Vergangenheit zu werfen – ein Paradoxon in der Arbeit mit dem Medium Klang der immer nur im Jetzt erlebt werden kann.6 Sie entwirft eine 18stimmige Komposition aus 48 Sinustönen, die über die Dauer des Stücks kontinuierlich in Zeit und Frequenz transponiert werden, erstellt Tabellen mit Elementen, denen sie Namen aus der Teilchenphysik zuweist, ordnet Operationen nach der Fibonaccireihe. Das Ergebnis ist poetisch-sinnlich. Unerlässlich ist dabei immer Freiraum für Unschärfen, für (Re)aktion im Moment der Aufführung.

Gegenüber herkömmlich musikalischer Analyse verhält ihre Musik sich sperrig. Es geht ums Hören. Um Schichtungen, Verflechtungen, Ballungen, flächige Formationen. Abweichungen, Verschiebungen, Reibungen, irritierten Puls.Mit wachem Geist, großer Energie, beharrlich und unbeirrbar schafft Elisabeth Schimana Musik, die, gleichermaßen eindringlich wie subtil, in ihrer puren Radikalität sich nachhaltig in unsere Ohren einpflanzt.

Milena Meller, 2018.

1
Elisabeth Schimana: „Virus#3“ – Masterarbeit am Institut für Elektronische Musik und Akustik, Univ. f. Musik u. darstellende Kunst Graz, 2014: S. 3-6.
2
Elisabeth Schimana: „Virus#3“ – Masterarbeit am Institut für Elektronische Musik und Akustik, Univ. f. Musik u. darstellende Kunst Graz, 2014: S. 11.
3
Elisabeth Schimana: „Virus#3“ – Masterarbeit am Institut für Elektronische Musik und Akustik, Univ. f. Musik u. darstellende Kunst Graz, 2014: S. 6.
4
http://elise.at: zum Projekt Virus#3.
5
Elisabeth Schimana: „Im Freien Feld“ in: Heimo Ranzenbacher(Hg,.): „ Überschreitungen I, Liquid Music“, 2014: S. 121.
6
http://elise.at: zum Projekt „In die Sonne

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